Das AKF-Interview (Nr. 13): Rassismus in der Frauengesundheitsszene in Deutschland

Das AKF-Interview (Nr. 13): Rassismus in der Frauengesundheitsszene in Deutschland


Aus unserer Reihe “Das AKF-Interview”

Fragen: Dr. Dagmar Hertle, Arbeitskreis Frauengesundheit

Antworten: Souzan AlSabah, Interkulturelles Frauen und Mädchengesundheitszentrum Holla e.V.; Denise Bergold-Caldwell, Dipl. Päd., wissenschaftliche Mitarbeiterin der Philipps Universität Marburg und
Saboura Naqshband, Politikwissenschaftlerin und Empowerment Trainerin.


AKF: Warum ist Rassismus ein Thema, welches eurer Meinung nach in die Frauengesundheitsarbeit gehört?

Rassismus ist ein Thema, welches für Menschen, die ihn tagtäglich erleben, schlicht zur Lebensrealität gehört. Die Mehrheitsgesellschaft nimmt Rassismus nicht wahr und vergisst die Ernsthaftigkeit des Themas. Es gibt sogar Menschen, die behaupten, bei Rassismus handle es sich um subjektive Empfindungen. Anderen ist klar, dass Rassismus die bestehenden gesellschaftlichen Hierarchien und Machtstrukturen stabilisiert. Menschen, die Rassismus erleben, erleben diesen jeden Tag, jederzeit und überall. Alltägliche Zuschreibungen können psychisch belasten, und zwar permanent. Es gibt keine Rassismus-freien Orte, zu denen die Mehrheitsgesellschaft Zugang hat. Das stresst natürlich und dass Stress krank macht, ist bekannt und bewiesen.
Alltäglicher Rassismus über Zuschreibungen ist wie eine Dauerbeschallung und natürlich viel häufiger als gewaltvolle Übergriffe von Rechtsradikalen. Er wird ständig erlebt und niemand berichtet darüber. Frauen* und Mädchen* sind in besonderer Weise betroffen, weil sie in vielerlei Hinsichten Übergriffen (auch wörtlichen) anders ausgesetzt sind.
Durch die Verschränkung von sexistischen und rassistischen Strukturen kann es zu Marginalisierung kommen. Wenn dann auch noch Klassismus dazu kommt, entsteht eine besonders geballte Form der Intersektionalitätserfahrung, die eine gesellschaftliche Teilhabe sehr schwer machen kann. Teilhabe ist aber für eine gesunde Psyche und auch für Gesundheit im Allgemeinen unabdingbar.

AKF: Wie kann Rassismus die Gesundheit von Frauen und Mädchen beeinflussen?

In Vorbereitung eines Gesundheitsworkshops haben sich Mädchen, egal ob mit oder ohne Rassismus-Erfahrung darauf geeinigt, dass man Gesundheit beschreiben kann als einen Zustand des „Sich-RICHTIG-Fühlens“. Dies bezog sich sowohl auf Selbstwahrnehmung als auch auf die Rückmeldungen der Gruppe oder Gesellschaft. Rassismus beeinflusst Identitätsbildung, Sicherheitsgefühl, Zugehörigkeitsgefühl: alles Garanten für positives Selbstbild und Selbstbezug und damit für psychische Gesundheit. Es ist schwer, sich richtig zu fühlen, wenn einem ständig und in Dauerschleife gespiegelt wird, und sei es noch so subtil: „Hier gehörst Du nicht hin…“.
Wie oben bereits erwähnt sorgt Rassismus für permanenten Stress. Man erlebt rassistische Haltungen und Übergriffe ständig und überall. Zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, Wohnungsmarkt, beim Einkaufen, in der Schule, in öffentlichen Verkehrsmitteln, überall wo Weiße sind, also Menschen, die von der rassistischen Gesellschaftsstruktur profitieren. Auswirkungen können z. B. alle stressbedingten Krankheiten sein, wie hoher Blutdruck und andere arterielle Erkrankungen, psychische Erkrankungen, beispielsweise Depression, bis hin zur Suizidalität. Schließlich können anhaltende stressbedingte Erkrankungen zu einer kürzeren Lebensdauer führen.

AKF: Was wünscht ihr Euch von weißen Frauen in der Gesundheitsarbeit?

Wir wünschen uns echte Teilhabe für Schwarze Frauen und Frauen of Color. Wir wünschen uns, dass Schwarze Frauen und Frauen of Color aus der Gesundheitsarbeit, die das Thema zusätzlich zur professionellen Auseinandersetzung in Theorie und Praxis auch aus anderer Perspektive kennen, als Expertinnen zu den oben genannten Themen ernst genommen und befragt werden. Darüber möchten wir nicht diskutieren.
Wir wollen die Definitionsmacht für Leben und Wahrheiten für alle Frauen und Mädchen. Es ist eine große Herausforderung, gemeinsam für Gleichberechtigung einzustehen, obwohl in rassistischen Strukturen, in denen wir leben, weiße Frauen privilegiert und Frauen of Color benachteiligt sind. Wenn wir gemeinsam für einen anti-rassistischen Feminismus einstehen wollen, dürfen unterschiedliche Wahrheiten nicht länger als konkurrierend betrachtet werden. Unsere Wahrheiten stehen direkt nebeneinander. Wir wünschen uns außerdem, dass weiße Frauen ihre Privilegien anerkennen und im besten Fall genießen. Schuldgefühle, Scham und Schmerz Privilegierter sollten nicht länger das Problem von strukturell Benachteiligten bleiben. Kontakt und Begegnung auf Augenhöhe können unserer Überzeugung nach erst dann möglich werden.
Wir wünschen uns Achtsamkeit, Bewusstsein und Wissen für die oben genannten Effekte und dass Einwände und Erfahrungen ernst genommen werden. Wir wünschen uns Achtsamkeit bei der Wortwahl und Positionierung, Fragen stellen statt Urteile fällen. Wir wünschen uns Vermittlung von Frauen of Color und Schwarzen Frauen an entsprechende Beratungsstellen.
Schließlich wünschen wir uns Reflexion der eigenen Position und dadurch Öffnung für Professionelle, die sich mit den Thematiken auskennen.

AKF: Was hieße echte Teilhabe für Frauen mit Rassismus-Erfahrung?

Als ausgewiesene Expertinnen auftreten zu können, nicht mehr ständig bekämpft und in Frage gestellt zu werden, Erfahrungen nicht länger beweisen zu müssen. Es gäbe einen ernsthaften Umgang mit dem Thema, weiße Frauen würden sich von Schwarzen Frauen und Frauen of Color schulen lassen, sie würden Patientinnen überweisen und anerkennen, dass viele Fehler und Verletzungen begangen wurden. Wobei nochmal: Es geht nicht um Schuld, aber um die Anerkennung unserer Definitionsmacht. Themen Schwarzer Frauen und Frauen of Color sollen nicht zufällig unter dem Tisch verhandelt werden müssen, sondern als die Themen anerkannt werden, die diese benennen. Mehr Frauen of Color sollten unterstützt werden, auch darin, dass sie Ressourcen mitbringen, über die Andere nicht verfügen. Schön wäre auch das gemeinsame Starkmachen für finanzielle Unterstützung, z. B. durch Sozialfonds.

AKF: Gibt es konkrete Beispiele?

Im interkulturellen Frauen- und Mädchen-Gesundheitszentrum IFMGZ Holla e. V. in Köln ist der Anteil weißer Frauen und Frauen of Color sowie Schwarzer Frauen paritätisch. Es gibt sowohl gemeinsame Projekte als auch empowernde Treffen ohne weiße Frauen. Auch die Weißen treffen sich allein, um an ihren eigenen Themen wie Schuld und Widerstand zu arbeiten, denn sie wollen Schwarze Frauen und Frauen of Color nicht zusätzlich mit eigenen Problemen belasten. An diesem Projekt sieht man, dass ein Leben und Kontakt in Augenhöhe möglich sind, wenn die Definitionsmacht jeder Einzelnen anerkannt wird.
Es gibt bundesweit verschiedene Netzwerke von Menschen of Color, die sich gegenseitig unterstützen und bestärken.

AKF: Was kann der AKF machen?

Natürlich sollte der AKF sich zunächst überlegen, ob echte Teilhabe überhaupt erwünscht ist, denn sicher würde die Auseinandersetzung mit eigenen Anteilen und Strukturen nicht immer einfach sein. Es würde in Teilen strukturelle Veränderungen nach sich ziehen. Wenn der AKF das Thema Rassismus für die Frauengesundheit ernst nehmen möchte, könnte der AKF zum Beispiel ein Treffen von und für Frauen of Color und Schwarze Frauen initiieren, um mehr Teilhabe im AKF zu ermöglichen. Es könnte (wie am Beispiel Holla) ein Ausschuss von AKF-Frauen of Color und Schwarzen Frauen im Frauengesundheitsbereich eröffnet werden. Außerdem könnten sich weiße Mitglieder des AKF von Frauen of Color beraten und schulen lassen, der AKF könnte auch ein Rassismus-kritisches Auftreten nach außen anstreben. Der AKF könnte Forschungen zum Rassismus in der Frauengesundheitsarbeit veranlassen und die Arbeit von Schwarzen Frauen und Frauen of Color unterstützen.

 

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